Die Gegendarstellung zur Erklärung zur Existenz des Weihnachtsmannes

Karsten S. schrieb dem Joker folgende Mail:

Hi!
Im Rahmen einer Weihnachtfeier hat ein ehemaliger Kollege von mir (Thomas L.) den Beweis angetreten, dass es doch einen Weihnachtsmann gibt! Teilweise merkt man jedoch, das er Statistiker im Nebenfach war!
Ciao, Karsten

  1. Es gibt 300.000 Spezies von lebenden Organismen, die noch klassifiziert werden müssen, obwohl es sich dabei zu 90% um Insekten und Bakterien handelt. 0,03% aller bekannten Tiere sind Rotwild, zu denen bekanntermaßen auch das Rentier gehört. Wiederum sind 20% der Fauna flugfähige Geschöpfe, so dass die bedingte Wahrscheinlichkeit, dass man bei einem zufälligen Herausgreifen einer Tiergattung aus einer Population unklassifizierter Tiergattungen ein flugfähiges Rotwild erwischt, 0,0003 * 0,2 = 0,00006 = 0,006% beträgt. Das ist sicher nicht viel. Nun gibt es aber, wie bereits erwähnt, 300.000 unklassifizierte Organismen. Nehmen wir hierbei den geschätzten Anteil von nur 10% nichtbakterieller bzw. insektozider Lebewesen, so kommen wir auf 30.000 Wirbel- bzw. Krustentiere. Die Wahrscheinlichkeit, dass es unter diesen Lebewesen mindestens ein flugfähiges Rentier gibt, ist dann
    100% - p (kein flugfähiges Rentier) =
    1 - [(1 - 0,00006) * 30.000] =
    1 - 0,16528996 = 0,83471004 = 83,4%.
    Das ist doch eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit für flugfähige Rentiere. Jedes Spielcasino wird Ihnen bestätigen, dass man mit einer Wahrscheinlichkeit von 50,5 % für "Die Bank gewinnt dieses Spiel" sehr gut über die Runden kommt.
  2. Die Rechnung, die hier aufgestellt wurde, enthält eindeutig Fehler: 15% von 2 Millarden sind keine 378 Millionen sondern 300 Millionen, also erheblich weniger Kinder (26% Fehler). Des weitern ergibt 378 / 3.5 = 108 und nicht - wie behauptet wird - 91,8 Millionen Häuser (15% Fehler). So kann die weitere Zeitenberechnung nicht stimmen. Der Gesamtfehler der Berechnungen im vorliegenden Aufsatz ist, gemäß der "Worst-Case-Schätzung" bereits jetzt 37%.
    Des weiteren ist die Maximum Likelihood-Schätzung, dass in jedem Haus mindestens ein braves Kind lebt, zwar eine erwartungstreue Schätzung, jedoch produziert jede Schätzung auch ein Residuum, also einen Schätzfehler. Davon ausgehend, dass das Kontinuum Bosheit - Bravheit normalverteilt ist und einen Medianwert aufweist, folgern wir, der Logik des Autors gemäß, daß der Weihnachtsmann den 50% braven Kindern ein Geschenk bringt, die 50% bösen Kinder ignoriert.
    Die Wahrscheinlichkeit, dass ein zufällig herausgegriffenes Kind böse ist, ist, gemäß der obigen Annahmen 50%. Nun berechnen wir die Wahrscheinlichkeit, dass in einem zufällig herausgegriffenen Haus kein braves Kind lebt. Mit den obigen Zahlen kommen wir auf ca. 3 Kinder pro Haus (in Wahrheit sind es 2,777, das erhöht sogar noch die Wahrscheinlichkeit eines Hauses mit nur bösen Kindern). Damit gibt es folgende Kombination der Hausbesetzung mit je gleicher Wahrscheinlichkeit:
    BRAV - BRAV - BRAV
    BÖSE - BRAV - BRAV
    BÖSE - BÖSE - BRAV
    BÖSE - BÖSE - BÖSE
    Die Schätzung des Autors, dass in jedem Haushalt ein braves Kind lebt, hat eine Irrtumswahrscheinlichkeit von 25%. Wenn man davon ausgeht, dass Forschungsberichte und Veröffentlichungen mit einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 5%, manche sogar von 1% ausgehen, überkommt dem geneigten Leser bereits beim Lesen dieser Beweisführung ein leises Zweifeln an der Seriosität des Autors.
    Aber weiter im Text.
  3. Die Zeitberechnung kann aus den oben genannten Gründen nicht richtig sein; des weiteren wurde hier ein wichtiger Faktor vergessen: Der Autor vernachlässigt in diesem Aufsatz die vierte Dimension, die ja, wie wir spätestens seit Einstein wissen, nicht konstant gehalten werden kann. An einem Beispiel soll gezeigt werden, dass sich der Weihnachtsmann zum Verteilen der Geschenke soviel Zeit lassen kann, wie er will:
    Nicht nur Einstein, auch der gewöhnliche Mensch schafft es trotz Vollbeschäftigung die Dimension "Zeit" so zu dehnen, dass Ihm vom Tage 100% Freizeit bleiben:
    Das Jahr hat 365 Tage, also 8.760 Stunden. Mit 28 Tagen Urlaub, 104 Tagen Wochenende und 10 Feiertagen gehen jedoch bereits 2.496 Stunden ab, die nicht gearbeitet werden. In wissenschaftlichen Zeitschriften steht weiterhin, dass wir 1/3 unseres Lebens verschlafen, das wären dann also 2.920 Stunden nur für den Schlaf. Nun hat aber das Jahr nicht nur Arbeitstage. Nun wird aber jeder normale Mensch, um leben zu können, essen, Hierfür sei, da wir ja kultivierte Menschen sind, 2 Stunden pro Tag anzunehmen (bei nicht kultivierten Menschen sei hier eine Stunde Essen, dafür aber eine Zusatzstunde Fernsehen anzunehmen). Das sind auch wieder 730 Stunden/Jahr. Des weiteren sind pro Tag 4 Stunden für Lesen, Gespräche, Faulenzen und Heutenachrichten gucken anzusetzen. Das wären weitere 1.460 Stunden pro Jahr. Und selbst der unkultivierteste Mensch benötigt pro Tag eine halbe Stunde Körperpflege, also 182,5 Stunden im Jahr. Das macht dann alles zusammen 59,5 Reststunden, die der Mensch theoretisch noch im Jahr arbeitet, also knapp 3 Tage. Und 3 Tage ist jeder von uns mal krank...
    Bei einer Umfrage in Ihrem Kollegenkreise werden Sie jedoch feststellen, dass 100% der von Ihnen befragten Personen arbeiten, auch wenn sie nach dieser Rechnung eigentlich gar nicht arbeiten können. Es muss also so sein, dass selbst normale Personen über die Fähigkeit verfügen, die vierte Dimension nach ihrem Gutdünken zu verändern. Nach dem Gesetz der umgekehrten Wahrscheinlichkeit ist es also durchaus denkbar, dass, wenn Personen die Fähigkeit besitzen, pro Tag 8 Stunden zu arbeiten, auch wenn ihnen diese Zeit der Theorie nach nicht zur Verfügung stehen dürfte, auch eine so bedeutsame Person wie der Weihnachtsmann, dem der Legende nach ohnehin magische Fähigkeiten zugesprochen werden, die Fähigkeit besitzt, die vierte Dimension nach seinem Gutdünken zu gestalten. Der Weihnachtsmann kann sich also mit dem Austragen der Geschenke viel mehr Zeit lassen. Und auch das Rentier ist mit ca. 20 km/h schnell genug, so dass es hier keine weiteren Probleme geben sollte.
  4. und
  5. Auch diese Rechnungen sind selbstverständlich falsch, verfügt doch der Weihnachtsmann über das mathematische Wissen, dieses Gewicht der Geschenke von 410.400 Tonnen auf das Gewicht einer Feder zu reduzieren. Der Beweis:
    Sei x das Gewicht der Geschenke und y das Gewicht der Feder. Sei d der Unterschied. Nun gilt:
    x = y + d | * (x-y)
    x² - xy = xy + xd - y² - yd | -xd
    x² - xy - xd = xy - y² - yd
    x * (x - y - d) = y * (x - y - d) | :(x - y - d)
    x = y
    D. h. das Gewicht der gesamten Pakete ist gleich dem Gewicht einer Feder.
    Da das Verhältnis der Gewichte somit 410.400.000.000 Gramm zu einem Gramm ist, reduzieren sich demzufolge die doch recht überzogenen Angaben von Punkt 5 um den Faktor 410.400.000.000.
    Der Weihnachtsmann muss also pro Sekunde nicht 16,6 Trillionen Joule absorbieren, sondern nur noch 40,44 Joule. Das sind 3.400 kJoule pro Tag. Der Weihnachtsmann dürfte allerhöchstens etwas ins Schwitzen geraten, das dürfte sich durch den allgemein als kühlend empfundenen Fahrtwind bei diesen Geschwindigkeiten jedoch auch erübrigen. Auch die 20 Millionen Newton reduzieren sich auf einen Wert nahe Null, der Weihnachtsmann kann also auf der Fahrt zwischen den Schornsteinen gemütlich relaxen und trotzdem alle Geschenke an das Kind bringen.

Ich komme zum Schluss: Aufgrund der im Aufsatz enthaltenen Fehler konnte der Autor nicht zweifelsfrei beweisen, dass es den Weihnachtsmann nicht gibt.

Vielmehr: Aufgrund der vom Autor gemachten Berechnungen ergibt sich sogar zwingend folgender Schluss: Natürlich gibt es den Weihnachtsmann!

Vielen Dank.
Thomas L.